Exposition zu Biologischen
Flüssigkeiten: Stand der Dinge und aktuelle
Empfehlungen
F. Zysset, R. Kammerlander, P.Francioli
Médecine du personnel, Division autonome de
Médecine préventive Hospitalière, CHUV,
Lausanne
Die sachgemässe Betreuung der Personen, die
gegenüber Blut und anderen biologischen
Flüssigkeiten exponiert wurden, führt zu einer
Verringerung des Infektionsrisikos und erlaubt die Besorgnis
der Betroffenen, die mit solchen Zwischenfällen
verbunden ist, aufzufangen. Sie wird unter der Vorantwortung
eines auf diesem Gebiet ausgebildeten Arztes
ausgeführt, und muss rund um die Uhr funktionell sein.
Seit der Publikation der letzten schweizerischen
Empfehlungen im 2001, sind keine grundlegende
Veränderungen eingetreten. Eine Aktualisierung der
Empfehlungen wird demnächst im BAG-Bulletin
erscheinen.
Die Evaluation der postexpositionellen Massnahmen
stützt sich auf:
- Scharfe Beurteilung der Exposition (welche biologische
Flüssigkeit, mit welchem Material, Tiefe der
Verletzung...).
- Evaluation, durch den Arzt der Risikofaktoren des
Indexpatienten (gezielte Anamnese) und Suche nach einer
allfälligen kürzlichen Exposition (unter 6
Monaten). Die Anamnese hat nach Vorhandensein von
Infektionskrankheiten, risikoreichem Verhalten,
Risikofaktoren (Dialyse, Transfusion vor 1992, Herkunft aus
Ländern mit hoher Endemie, etc...) zu fahnden.
- Durchführung beim Indexpatienten einer
HIV-Serologie (bei Bedarf notfallmässig), einer
HCV-Serologie und einer HBV-Serologie falls der Verletzte
für HBV nicht immunisiert ist (Impfung oder
Krankheit).
Postexpositionelle Massnahmen :
- Wenn die Anamnese des Indexpatienten keine
Risikofaktoren aufzeigt, die Serologien negativ sind und der
Verletzte gegen HBV immun ist, ist keine Prophylaxe
notwendig. Kontrollserologien beim Verletzten sind nicht
notwendig. Der Unfall ist der UVG-Versicherung anzumelden
und die allgemeinen Präventivmassnahmen müssen
überprüft werden.
- Ist der Indexpatient HIV-positiv, dann wird die
Indikationsstellung für eine rasche
Postexpositionsprophylaxe (PEP) die oben erwähnten
Risikofaktoren für eine Übertragung evaluieren
müssen, sowie die Virämie und bekannte oder
verdächtigten Resistenzen des Indexpatienten-HIV's
betrachten müssen. Je nach Fall, wird die PEP empfohlen
(Beispiel: perkutane Exposition mit Frischblut),
vorgeschlagen (Beispiel: Schleimhautexposition
gegenüber Blut) oder davon abgeraten (Beispiel:
Speichelprojektion ins Auge). Die Zustimmung des Verletzten
zur Wahl der Therapie ist wichtig. Im Zweifelsfall ist es
besser eine PEP einzuleiten, die dann später immer noch
abgestellt werden kann. Es sei daran erinnert, dass jede
verlorene Stunde beim Einsetzen einer Therapie deren
Wirksamkeit reduziert oder sogar gänzlich vernichtet
bei einer Frist über 72 Std. Im Prinzip wird geraten,
die Therapie über 4 Wochen beizubehalten. Wenn der
Indexpatient schon vorgängig eine antiretrovirale
Therapie bekommen hat oder wenn der Verletzte
Kontraindikationen für antiretrovirale Medikamente
aufweist, muss die Meinung des Spezialisten für die
Wahl der Therapie eingeholt werden. Sonst wird man eine
Prophylaxe mit einer Kombination von AZT/3TC (Combivir 2 x 1
Tbl/Tag) und Nelfinavir (Viracept 2 x 1250 mg/Tag)
einführen. Zu den initialen Untersuchungen werden
serologische Kontrollen nach 3 und 6 Monate
durchgeführt. Schutzmassnahmen bei sexuellen Kontakten
sind bis zu einer negativen Serologie nach 3 Monate zu
empfehlen.
- Ist der Indexpatient AgHBs positiv und der Verletzte
für HBV immun, dann sind keine zusätzlichen
Massnahmen notwendig. Falls der Verletzte ein schlechter
Responder ist (anti-HBs zwischen 10 und 100 Ul/L), wird eine
Auffrischimpfung verabreicht. Falls er nicht immun ist, dann
Verabreichung von einer Impfung und von spezifischen
Immunglobuline i.m. an 2 verschiedenen Körperstellen
und Serologiekontrollen nach 3 und 6 Monate. Es müssen
keine Anti-HBs-Ak- Bestimmungen vor Ablauf von 6 Monaten
gemacht werden, um zu verhindern, dass man die verabreichten
Immunglobuline dosiert. Schutzmassnahmen bei sexuellen
Kontakten sind bis negativer Serologie nach 3 Monaten
empfohlen.
- Ist der Indexpatient HCV positiv, gibt es keine
postexpositionelle Therapie. Man wird sich begnügen,
den Verlauf der ALAT nach 2, 3 und 6 Monate sowie der
HCV-Serologie nach 3 und 6 Monate zu verfolgen.
Schutzmassnahmen bei sexuellen Kontakten werden nicht
empfohlen. Bei Erhöhung der Transaminasen wird eine
HCV-PCR veranlasst. Eine Routine HCV-PCR ist nicht
empfohlen. Bei Serokonversion, hat eine frühe Therapie
mit a-Interferon eine gewisse Wirksamkeit gezeigt. In einem
solchen Fall muss eine spezialärztliche Betreuung
unverzüglich organisiert werden.
- Ist der Indexpatient unbekannt, so wird im Prinzip
keine PEP eingeführt, es sei denn die Evaluation der
Situation zeige Anzeichen eines erhöhten Risikos und
die Zeitspanne zwischen dem Gebrauch des betreffenden
Gegenstandes und der Verletzung liege wahrscheinlich unter 3
Std. Die Evaluation des Risikos für HBV wird von einem
persistierenden Infektionsrisiko mehrere Tage nach Gebrauch
des betreffenden Gegenstandes ausgehen. Die
Kontrollserologien HIV/HCV und, falls indiziert HBV, werden
systematisch veranlasst. Schutzmassnahmen bei sexuellen
Kontakten sind nur bei Indizien eines erhöhten Risikos
empfohlen.
Die Verhütung der Unfälle beruht
hauptsächlich auf der systematischen Anwendung der
allgemeinen Vorsichtsmassnahmen und der Kontrollmassnahmen
betreffs Infektion. Bereitstehende Entsorgungsbehälter
für stechende und schneidende Gegenstände, das
Tragen von Handschuhen, von Schutzmasken und von
Schutzbrillen, und das Verbot des Recapping sind die
Hauptmassnahmen zur Verhütung von Unfällen.
Beinahe 50 % der im CHUV erfassten Zwischenfälle
hätten mit der korrekten Anwendung der allgemeinen
Vorsichtsmassnahmen vermieden werden können. Jeder
Unfall sollte diesbezüglich minuziös analysiert
werden und allfällige Präventivmassnahmen
eingeführt werden, sowohl auf individueller wie
organisatorischer und technischer Ebene. Auf diesem Gebiet
sollte der Nutzen von Verbesserungen des Materials, der
Pflegetechniken und von gesicherten Instrumenten
systematisch evaluiert werden.
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