Schweizerische Tagung der
personalärztlichen Dienste
im Gesundheitsdienst

Die Hand an der Arbeit
Lausanne - CHUV
18-19 november 2004

Wissenschaftliche Tagung der
Schweizerischen Gesellschaft
für Arbeitsmedizin

Exposition zu Biologischen Flüssigkeiten: Stand der Dinge und aktuelle Empfehlungen

F. Zysset, R. Kammerlander, P.Francioli

Médecine du personnel, Division autonome de Médecine préventive Hospitalière, CHUV, Lausanne

Die sachgemässe Betreuung der Personen, die gegenüber Blut und anderen biologischen Flüssigkeiten exponiert wurden, führt zu einer Verringerung des Infektionsrisikos und erlaubt die Besorgnis der Betroffenen, die mit solchen Zwischenfällen verbunden ist, aufzufangen. Sie wird unter der Vorantwortung eines auf diesem Gebiet ausgebildeten Arztes ausgeführt, und muss rund um die Uhr funktionell sein. Seit der Publikation der letzten schweizerischen Empfehlungen im 2001, sind keine grundlegende Veränderungen eingetreten. Eine Aktualisierung der Empfehlungen wird demnächst im BAG-Bulletin erscheinen.

Die Evaluation der postexpositionellen Massnahmen stützt sich auf:

- Scharfe Beurteilung der Exposition (welche biologische Flüssigkeit, mit welchem Material, Tiefe der Verletzung...).

- Evaluation, durch den Arzt der Risikofaktoren des Indexpatienten (gezielte Anamnese) und Suche nach einer allfälligen kürzlichen Exposition (unter 6 Monaten). Die Anamnese hat nach Vorhandensein von Infektionskrankheiten, risikoreichem Verhalten, Risikofaktoren (Dialyse, Transfusion vor 1992, Herkunft aus Ländern mit hoher Endemie, etc...) zu fahnden.

- Durchführung beim Indexpatienten einer HIV-Serologie (bei Bedarf notfallmässig), einer HCV-Serologie und einer HBV-Serologie falls der Verletzte für HBV nicht immunisiert ist (Impfung oder Krankheit).

Postexpositionelle Massnahmen :

- Wenn die Anamnese des Indexpatienten keine Risikofaktoren aufzeigt, die Serologien negativ sind und der Verletzte gegen HBV immun ist, ist keine Prophylaxe notwendig. Kontrollserologien beim Verletzten sind nicht notwendig. Der Unfall ist der UVG-Versicherung anzumelden und die allgemeinen Präventivmassnahmen müssen überprüft werden.

- Ist der Indexpatient HIV-positiv, dann wird die Indikationsstellung für eine rasche Postexpositionsprophylaxe (PEP) die oben erwähnten Risikofaktoren für eine Übertragung evaluieren müssen, sowie die Virämie und bekannte oder verdächtigten Resistenzen des Indexpatienten-HIV's betrachten müssen. Je nach Fall, wird die PEP empfohlen (Beispiel: perkutane Exposition mit Frischblut), vorgeschlagen (Beispiel: Schleimhautexposition gegenüber Blut) oder davon abgeraten (Beispiel: Speichelprojektion ins Auge). Die Zustimmung des Verletzten zur Wahl der Therapie ist wichtig. Im Zweifelsfall ist es besser eine PEP einzuleiten, die dann später immer noch abgestellt werden kann. Es sei daran erinnert, dass jede verlorene Stunde beim Einsetzen einer Therapie deren Wirksamkeit reduziert oder sogar gänzlich vernichtet bei einer Frist über 72 Std. Im Prinzip wird geraten, die Therapie über 4 Wochen beizubehalten. Wenn der Indexpatient schon vorgängig eine antiretrovirale Therapie bekommen hat oder wenn der Verletzte Kontraindikationen für antiretrovirale Medikamente aufweist, muss die Meinung des Spezialisten für die Wahl der Therapie eingeholt werden. Sonst wird man eine Prophylaxe mit einer Kombination von AZT/3TC (Combivir 2 x 1 Tbl/Tag) und Nelfinavir (Viracept 2 x 1250 mg/Tag) einführen. Zu den initialen Untersuchungen werden serologische Kontrollen nach 3 und 6 Monate durchgeführt. Schutzmassnahmen bei sexuellen Kontakten sind bis zu einer negativen Serologie nach 3 Monate zu empfehlen.

- Ist der Indexpatient AgHBs positiv und der Verletzte für HBV immun, dann sind keine zusätzlichen Massnahmen notwendig. Falls der Verletzte ein schlechter Responder ist (anti-HBs zwischen 10 und 100 Ul/L), wird eine Auffrischimpfung verabreicht. Falls er nicht immun ist, dann Verabreichung von einer Impfung und von spezifischen Immunglobuline i.m. an 2 verschiedenen Körperstellen und Serologiekontrollen nach 3 und 6 Monate. Es müssen keine Anti-HBs-Ak- Bestimmungen vor Ablauf von 6 Monaten gemacht werden, um zu verhindern, dass man die verabreichten Immunglobuline dosiert. Schutzmassnahmen bei sexuellen Kontakten sind bis negativer Serologie nach 3 Monaten empfohlen.

- Ist der Indexpatient HCV positiv, gibt es keine postexpositionelle Therapie. Man wird sich begnügen, den Verlauf der ALAT nach 2, 3 und 6 Monate sowie der HCV-Serologie nach 3 und 6 Monate zu verfolgen. Schutzmassnahmen bei sexuellen Kontakten werden nicht empfohlen. Bei Erhöhung der Transaminasen wird eine HCV-PCR veranlasst. Eine Routine HCV-PCR ist nicht empfohlen. Bei Serokonversion, hat eine frühe Therapie mit a-Interferon eine gewisse Wirksamkeit gezeigt. In einem solchen Fall muss eine spezialärztliche Betreuung unverzüglich organisiert werden.

- Ist der Indexpatient unbekannt, so wird im Prinzip keine PEP eingeführt, es sei denn die Evaluation der Situation zeige Anzeichen eines erhöhten Risikos und die Zeitspanne zwischen dem Gebrauch des betreffenden Gegenstandes und der Verletzung liege wahrscheinlich unter 3 Std. Die Evaluation des Risikos für HBV wird von einem persistierenden Infektionsrisiko mehrere Tage nach Gebrauch des betreffenden Gegenstandes ausgehen. Die Kontrollserologien HIV/HCV und, falls indiziert HBV, werden systematisch veranlasst. Schutzmassnahmen bei sexuellen Kontakten sind nur bei Indizien eines erhöhten Risikos empfohlen.

Die Verhütung der Unfälle beruht hauptsächlich auf der systematischen Anwendung der allgemeinen Vorsichtsmassnahmen und der Kontrollmassnahmen betreffs Infektion. Bereitstehende Entsorgungsbehälter für stechende und schneidende Gegenstände, das Tragen von Handschuhen, von Schutzmasken und von Schutzbrillen, und das Verbot des Recapping sind die Hauptmassnahmen zur Verhütung von Unfällen. Beinahe 50 % der im CHUV erfassten Zwischenfälle hätten mit der korrekten Anwendung der allgemeinen Vorsichtsmassnahmen vermieden werden können. Jeder Unfall sollte diesbezüglich minuziös analysiert werden und allfällige Präventivmassnahmen eingeführt werden, sowohl auf individueller wie organisatorischer und technischer Ebene. Auf diesem Gebiet sollte der Nutzen von Verbesserungen des Materials, der Pflegetechniken und von gesicherten Instrumenten systematisch evaluiert werden.